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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 13.12.2002
Aktenzeichen: 6 A 11689/02
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3
AsylVfG § 78
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
Ein Antrag auf Zulassung der Berufung mit dem Ziel einer Verfahrenseinstellung nach Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen ist nur ausnahmsweise zulässig.

Es stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eines trotz ordnungsgemäßer Ladung der mündlichen Verhandlung fernbleibenden Klägers dar, wenn seine Klage als unzulässig abgewiesen wird, nachdem ein anderer Prozessbeteiligter unter dem Eindruck der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung seinen Antrag zurückgenommen und auf die Rechte aus dem angefochtenen Verwaltungsakt verzichtet hat.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

6 A 11689/02.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Asylrechts (Russische Föderation)

hier: Zulassung der Berufung

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 13. Dezember 2002, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 1. Oktober 2002 - 7 K 837/02.KO - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe:

Der Antrag des Klägers ist unzulässig. Für sein Begehren, "die Berufung zuzulassen und das Urteil - mit der Zielsetzung der Einstellung des Verfahrens nach Abgabe einer Erledigungserklärung - aufzuheben", fehlt das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Mit der durch das Zulassungserfordernis bewirkten Beschränkung der Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, wird das Ziel verfolgt, nur dann den Rechtsmittelzug zu eröffnen, wenn dort die Klärung einer grundsätzlich bedeutsamen Frage (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) oder aber die inhaltliche Korrektur einer divergierenden (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) oder verfahrensfehlerhaften (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG) Entscheidung erfolgen kann (vgl. hierzu OVG Münster, Beschluss vom 07.12.2001, NVwZ-RR 2002, 796 f.). Dies ist nicht möglich, wenn - wie hier - nach Zulassung der Berufung das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt werden soll. Unter diesen Umständen kommt eine Überprüfung des angefochtenen Urteils und insbesondere dessen Aufhebung nicht mehr in Betracht. Dass es in einem nach Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen ergehenden Kostenbeschluss für unwirksam erklärt würde, hat lediglich klarstellende Bedeutung und vermittelt dem Kläger kein Rechtsschutzinteresse für den Berufungszulassungsantrag.

Etwas anderes soll nur gelten, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse besitzt, im Rechtsmittelverfahren die vor Eintritt der Erledigung bestehende Rechtslage einer Klärung durch das Rechtsmittelgericht zuzuführen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2002, Vorb § 124 Rz 43 m.w.N.). Ein solches Interesse ist vom Kläger weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Denn die Abweisung seiner Klage beruht nicht etwa darauf, dass das Verwaltungsgericht die vom Kläger angefochtene Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen hinsichtlich der Beigeladenen bestätigt hat. Vielmehr ist die Klage abgewiesen worden, weil sie unzulässig geworden war, nachdem die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung ihre Asylanträge zurückgenommen und auf alle Rechte aus dem Bescheid der Beklagten vom 22. März 2002 verzichtet hatten.

Trotz eingetretener Hauptsacheerledigung wird das Rechtsschutzinteresse für einen Berufungszulassungsantrag auch dann anzuerkennen sein, wenn ein unterlegener und damit kostenpflichtiger Beteiligter die Sachentscheidung anficht, um nach Zulassung des Rechtsmittels die Hauptsache für erledigt zu erklären und eine für ihn günstigere Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu erreichen (vgl. hierzu VGH Kassel, Beschluss vom 19.07.2001, NVwZ-RR 2002, 75 f.), bzw. geltend machen kann, das erstinstanzliche Gericht habe seine Verfahrensgrundrechte verletzt und so verhindert, dass er die Hauptsache in erster Instanz für erledigt erklären konnte (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 15.06.1987, DÖV 1988, 523). So liegen die Dinge hier jedoch nicht. Zum einen sind dem Kläger durch das angefochtene Urteil lediglich die Verfahrenskosten mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt worden, was angesichts der Gerichtskostenfreiheit (§ 83 b AsylVfG) bedeutet, dass ihm seine eigenen außergerichtlichen Kosten und diejenigen der Beklagten zur Last fallen. Dass ihm oder der Beklagten solche entstanden sind, hat er nicht dargelegt.

Außerdem ist das angefochtene Urteil nicht verfahrensfehlerhaft ergangen. Insbesondere beruht es nicht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör. Zwar umfasst dieser Anspruch auch das Verbot einer Überraschungsentscheidung. Darunter ist eine Entscheidung zu verstehen, die auf Erwägungen gestützt ist, die weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren erörtert wurden und mit deren Entscheidungsrelevanz die Beteiligten daher nicht zu rechnen brauchten. Auf einen Verstoß gegen diesen Grundsatz kann sich aber nur berufen, wer zuvor alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten wahrgenommen hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 1988, NJW 1989, 1233). Daran fehlt es hier, weil der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erschienen ist. Jeder Prozessbeteiligte muss damit rechnen, dass die übrigen Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ihr bisheriges Vorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ergänzen. Nimmt er durch Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit, sich hierzu zu äußern, nicht wahr, so kann er sich später insoweit nicht mehr auf das Recht auf rechtliches Gehör berufen (BVerwG, Urteil vom 13.11.1980, BVerwGE 61, 145 <146>). Die hierdurch für ihn gegebenenfalls entstehenden prozessualen Nachteile muss er tragen. Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 13.11.1980, BVerwGE 61, 145 <146 f.>; Beschluss vom 20.12.2000, NJW 2001, 1151 f.) gilt dies aber nicht, wenn im Wege der Klageänderung ein neuer Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt wird und aufgrund der mündlichen Verhandlung dann sofort über diesen neuen Streitgegenstand entschieden wird. Dass ein Beteiligter unter dem Eindruck der Erörterungen der mündlichen Verhandlung, insbesondere gerichtlicher Hinweise auf den voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens, seine Klage oder seinen Antrag zurücknimmt, ist mit einer überraschenden Klageänderung nicht gleichzusetzen. Dies wird schon daran deutlich, dass die Rücknahme der Klage nach § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO bis zur Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung ohne Einwilligung des Beklagten zulässig ist, während die Klageänderung auch schon vor diesem Zeitpunkt der Einwilligung der übrigen Beteiligten bedarf, wenn nicht das Gericht die Änderung für sachdienlich hält (§ 91 Abs. 1 VwGO). Mit einem Verzicht eines Beteiligten auf die Fortsetzung höchstwahrscheinlich aussichtsloser Bemühungen muss in der mündlichen Verhandlung immer gerechnet werden, weil deren Sinn in besonderem Maße darin besteht, den Rechtsstreit mit den Beteiligten offen zu erörtern, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Standpunkte zu bekräftigen oder aber aufzugeben.

Daraus ergibt sich bereits, dass der Zulassungsantrag mit der erhobenen Verfahrensrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) auch in der Sache keinen Erfolg hätte haben können. Damit ist gleichzeitig die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich gestellte Frage beantwortet, ob ihm nach Rücknahme eines Asylantrages in einer mündlichen Verhandlung, zu der er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Diese Frage nach dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers kann überdies nur im Zulassungsverfahren von Bedeutung sein. Im Berufungsverfahren über die Anfechtungsklage gegen die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen wäre sie nicht entscheidungserheblich. Unabhängig davon würde einer Klärung dieser Frage im vorliegenden Zusammenhang entgegenstehen, dass der Rechtsstreit sich bereits in der Hauptsache erledigt hat und der Kläger- wie schon ausgeführt - die Berufungszulassung (nur) begehrt, um die Abgabe von Erledigungserklärungen zu ermöglichen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der maßgebenden Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten dem Kläger aufzuerlegen. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

Ende der Entscheidung

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